Erntedank

Ort: Pfarrkirche

Predigt zum Erntedankfest 2023 und zum 70-jährigen Jubiläum der Errichtung der Pfarrei St. Martin

Lesungen:  Deuteronomium 8,7-18; Philipperbrief 2,1-11; Lukasevangelium 17,11-19

 

Liebe Mitchristen!

 

Einen doppelten Grund für ein Dankfest haben wir heute am 1. Oktober 2023 – zum einen das Erntedankfest, das uns gerade in den Zeiten einer sich verschärfenden Klimakrise vor Augen führt, dass es ganz und gar nicht selbstverständlich ist, gute Ernten einzufahren und in Sicherheit und Wohlstand leben zu können.

 

Und dann sind es heute auf den Tag genau 70 Jahre, dass unsere Pfarrei St. Martin als eigenständige Pfarrei errichtet wurde. Die Ernte dieser 70 Jahre fruchtbaren pastoralen Wirkens dürfen wir dankbar erinnern. Und das bedeutet, sich zu erinnern an eine Zeit großer Aufbrüche, massiver Umbrüche und leider auch gravierender Abbrüche. Denn nach dem Höhenflug der 1950-ger und 60-ger Jahre, in denen die neu gegründete Pfarrei den nach dem 2. Welt-krieg orientierungs- und heimatlos gewordenen Familien eine seelische Heimat bieten konnte und eine Blütezeit der Volkskirche anbrach, war man hier in St. Martin in den 1970-ger, 80-ger und 90-ger Jahren gut aufgestellt, um den massiven Umbrüchen in Kirche und Gesellschaft aufgeschlossen und zeitgemäß begegnen zu können. Vor allem nach der Jahrtausendwende zeichnete sich mehr und mehr ab, dass eine Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation auch in einer so jungen und lebendigen Pfarrei wie St. Martin keine Selbstverständlichkeit ist. Nach dem Höchststand von mehr als 12.000 Katholiken musste man schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass Jahr für Jahr ein kräftiger Aderlass zu verzeichnen ist – mit zuletzt ca. 200 Katholiken, um die die Pfarrei pro Jahr schrumpft. Neben einer hohen Zahl von Kirchenaustritten, die vor allem mit dem schlechten Image der Kirche allgemein, mit dem Ein-sparen der Kirchensteuer, aber auch mit einem schwinden-den Glauben zu tun haben, sorgen auch Um- und Wegzüge und eine geringer werdende Bereitschaft, Kinder taufen zu lassen, für diesen Trend.

 

Erfreulich ist trotz dieses Gegenwinds, den wir da und dort, auch in den eigenen Familien, sehr deutlich spüren, dass sich immer wieder neu Familien mit Kindern für den Glauben ansprechen lassen, dass gerade auch Kindergottesdienste und andere religiöse Angebote einen großen Zulauf haben, wenn es gelingt, die Menschen mit ihrer religiösen Sehnsucht dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Und die menschenfreundliche Botschaft Jesu Christi ist auch nach 2000 Jahren genauso neu und unverbraucht, wenn man sie in der Sprache und mit den Fragen unserer Zeit neu durchbuchstabiert.

 

Das Patrozinium des heiligen Martin von Tours erweist sich auch nach 70 Jahren als ideal gewählt für unsere Pfarrei, die zunehmend bunter geworden ist, da wir nicht wenige Katholiken mit einem Migrationshintergrund in unseren Reihen haben und neben wohlhabenden auch Menschen mit geringem Einkommen zu uns gehören. „St. Martin – ein Name, der verpflichtet“ - dieses Motto hat in letzter Zeit dazu geführt, einmal im Monat an einem Sonntag ein kostenloses Mittagessen auszugeben an Menschen, die ein Essen in Gemeinschaft schmerzlich vermissen, und an andere, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben.

 

Die wichtigsten Herausforderungen für die Zukunft stecken aber in den Schriftlesungen, die wir gerade gehört haben:Da wäre die Kultur des Dankens zu nennen, die Kultur der Danksagung, die von Anfang an zur DNA christlicher Gemeinden gehörte. Ich spreche vom Vorbild des geheilten Aussätzigen aus Samarien, das Jesus uns vor Augen stellt, weil dieser eine umkehrt, um Gott zu ehren. Und dieses Umkehren, um Gott zu danken und ihn zu ehren für all das, was uns an Gutem geschenkt ist, ist nicht nur einmal im Jahr am Erntedankfest der Grund, warum wir hier zusammenkommen, sondern jeden Sonntag.

 

Die sonntägliche Eucharistiefeier, die sonntägliche Danksagung, das sonntägliche Dankfest – das verändert unsere Einstellung zum Leben, das lässt uns zu lebendigen Christen werden – vor allem dann, wenn wir neben diesem sonntäglichen Akt der Gottesliebe dann auch im Alltag die von uns geforderte Nächstenliebe praktizieren. Und das sonntägliche Zusammenkommen macht die Pfarrgemeinde auch erlebbar, gibt ihr einen emotionalen Wert, lässt uns erleben, dass wir als pilgerndes Gottesvolk miteinander unterwegs sind.

 

Doch vor allem führt diese sonntägliche Kultur der Dankbarkeit auch dazu, genauer und intensiver nachzudenken über die Zusammenhänge dieser Welt und unseres Lebens. Davon haben wir in der ersten Lesung aus dem alttestamentlichen Buch Deuteronomium gehört. Denn wenn wir uns am Erntedanksonntag und an jedem anderen Sonntag ein wenig Zeit nehmen, die große Danksagung der Eucharistiefeier zu begehen, dann geht es jedes Mal auch darum, nachzudenken, wofür wir sinnvoller Weise danken, wem wir dankbar sein können und woher all das kommt, was uns so selbstverständlich in den Schoß fällt. Das Christentum ist genauso wie das Judentum eine Religion der Erinnerung, der denkenden und dankenden Erinnerung. Und im Erinnern dessen, was Gott von Anfang an bis heute schon alles für uns Menschen getan hat, sind wir ein Teil dieser Heilsgeschichte, sind wir nicht getrennt von unseren Wurzeln, sondern geben das, was wir als sinnvoll erkannt haben, gerne und fröhlich weiter.

 

Sicher ist so eine Haltung im besten Sinn des Wortes konservativ, weil sie das Gute aus der Tradition aufgreift und bewahrt. Gleichzeitig ist diese Haltung auch innovativ, weil unwahrscheinlich viel Dynamik drin steckt, sich für die Werte des Glaubens begeistern zu können und die Schätze der Vergangenheit in neuem Gewand weiterzugeben.

 

Ich lade Sie alle, ich lade uns alle dazu ein, den guten, den Heiligen Geist, der in den letzten 70 Jahren in unserer Pfarrei gewirkt hat, auch als Kraftquelle für die kommenden Jahre und Jahrzehnte zu begreifen und zu nutzen. Denn letztlich sind nicht wir es, die das Gute wirken, sondern der auferstandene Christus, der mit seinem Heiligen Geist in uns und durch uns handelt.

 

Doch bevor ich das „Amen“ zu dieser Predigt spreche, will ich es nicht versäumen, all denen zu danken, die in den letzten 70 Jahren ehren- und neben- und hauptamtlich tätig waren und sind in unserer Pfarrei - allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, allen Frauen und Männern, allen Laien, Diakonen und Priestern, die dem Evangelium ihr Gesicht gegeben haben und geben, damit Christus, der gute Hirt, sein Heil wirken konnte und dies auch weiterhin tun kann. Amen.